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Diagnose Fernweh

Ein Portrait über unsere Schiffsreisenmacherin Petra Fiechter. Blickt man auf die Wurzeln unserer Reiseberaterin, dann ist sie eindeutig die Moselkönigin im Reisebüro Mittelthurgau. Das echte «Kowwelenzer Schängelche» ist aufgewachsen, wo die Mosel in den Rhein mündet. Die Schweiz ist ihre zweite Heimat geworden, ihr Zuhause ein idyllischer Weiler im Zürcher Oberland.

20 Jahre lang, von 1794-1814 gehörte die Stadt Koblenz am berühmten Deutschen Eck zu Frankreich. Aus Hans, damals beliebtester männlicher Vorname, wurde Jean. Das aber konnten die Koblenzer nicht aussprechen. Nach Koblenzer Mundart entstand der Begriff Schang und schliesslich Schängel. Fortan galt jeder Koblenzer, jede Koblenzerin als Schängel. Was damals als Beleidigung galt, ist heute ein Privileg. Wer in Koblenz geboren ist, darf bis heute für sich in Anspruch nehmen, ein Schängel, oder – in der liebevollen Verkleinerungsform – ein Schängelche zu sein. Petra Fiechter ist so ein Schängelche und, wie alle ihrer Art, stolz darauf. Ihre Heimatstadt gehört zu Deutschlands ältesten Städten. Die alten Römer nannten sie Confluentes (die Zusammenfliessenden), denn hier mündet die Mosel in den Rhein.

Einmal an Bord gehen, das wär‘s!

Petra Fiechter wuchs in den 1960er-Jahren im Schneiderbetrieb ihrer Eltern auf. Vom Hügel des Koblenzer Stadtteils Karthause waren Rhein und Mosel für das kleine Schängelche allgegenwärtig. Woher kommen all die Schiffe – und vor allem: wohin fahren sie? Diese Frage beschäftigte das Mädchen weit mehr, als die Welt ihrer Eltern, wo sich alles um Nadel und Faden drehte. «Man wird nicht reich vom Schneidern. An eine Fahrt auf den Ausflugsschiffen war nicht zu denken. Das war damals reichen Leuten vorbehalten», erinnert sie sich. Es war ihre Grossmutter, die mit Petra eines Tages einen Ausflug unternahm. «Wir fuhren mit der Fähre auf die andere Rheinseite nach Ehrenbreitstein – für mich als Dreijährige eine kleine Weltreise.» Später fand sie heraus, dass die Schiffe und Frachter durch halb Deutschland und sogar nach Holland und zur Nordsee fuhren. Mit dem Fernweh wuchs die Erkenntnis: Sie würde die Schneiderei ihrer Vorfahren nicht in die fünfte Generation führen.

Sehnsuchtsort Weinberg

Neben der Neugier auf die Ferne gab es noch etwas anderes, das Petra Fiechter in jungen Jahren faszinierte. Die Welt des Moselweins, das Gewerbe ihrer Grossmütter. Beide hatten nach dem Krieg in der Steillagen-Region Cochem einen kleinen Mosel-Weinberg erworben, den sie mit Hingabe bewirtschafteten. «Das war echte Knochenarbeit», sagt sie heute, «aber für uns Kinder war es eine wundervolle Umgebung. Ich liebte es, mich im Sommer wie im Winter zwischen den Rebstöcken herumzutreiben. Ich mochte das Winzerleben und die Atmosphäre in den Weindörfern meiner Grossmütter. An den Weinfesten war die Stimmung eigentlich immer gut – auch in Jahren mit schlechter Weinlese.»

Rheinaufwärts in die halbe Welt

Nach ihrer Jugend zwischen Schneiderei und Weinberg studierte Petra Fiechter in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Hier lernte sie ihren ersten Mann kennen – ein passionierter Informatiker. Als dieser in der Schweiz seinen Traumjob antrat, brach sie ihr Studium (das sie ohnehin nur mässig begeisterte) ab und begleitete ihn rheinaufwärts in den Süden. Sie startete eine Lehre als Reisefachfrau. «Im zweiten Lehrjahr stieg ich zum ersten Mal in meinem Leben in ein Flugzeug – nach Gran Canaria!» Es sollte nicht ihr letzter Flug sein. Petra Fiechter wurde zur versierten Reisefachfrau, heuerte bei namhaften Schweizer Reiseunternehmen an. Sie lernte die halbe Welt kennen. Ihre Ehe hielt nicht, das Fernweh schon. Beruflich habe sich mit ihrer Arbeit als Schiffsreisenmacherin der Kreis geschlossen, sagt sie.

Ostwärts auf den Weiler

So wie der Lauf der Mosel, wo hinter jeder Flussbiegung Neues, Aufregendes lauert, verlief das Leben von Petra Fiechter. Irgendwann bog sie unverhofft ins Zürcher Oberland ab. Zu ihrer Liebe. Sämi. Er sei ein Handwerker und ein richtiger Naturbursche, erzählt sie lächelnd. «Sämi kennt kein Fernweh, es ist schwierig, ihn fürs Reisen zu motivieren.» Aber eins war ihr wichtig. Sämi sollte ihre Heimat kennenlernen. Und so machten sich die beiden letztes Jahr auf und paddelten mit Kanu und Zelt die Moselstrecke von Trier bis nach Koblenz. Für die 172 Kilometer haben sie sich vier Wochen Zeit genommen. Viele nette Menschen haben sie auf der Tour kennengelernt, mit ihnen geplaudert, gegessen und getrunken. Mit Sämi, der jetzt ihr Mann ist, lebt Petra Fiechter heute auf einem 53-Seelen-Weiler zwischen Winterthur und Frauenfeld. Das Heim der Fiechters war einst eine Scheune. Sämi baut sie um. Seit neun Jahren. Das Zuhause der beiden wird Jahr für Jahr schöner.

Flexible Geniesserin

Als Petra vor sieben Jahren zu Sämi auf den Weiler kam, war die Scheune eine verwüstete Baustelle. Jede andere hätte wohl Reissaus genommen. Nicht so Petra. «Ich bin ein flexibler Typ und die Liebe war halt grösser», sagt sie und lächelt wieder. Abends geniessen die beiden oft einen Riesling oder einen roten Spätburgunder aus Petras Heimat. Ja, die Mosellandschaft sei wunderschön, die Menschen gastfreundlich und offen, findet Sämi. Die Kanutour hat ihm gefallen. Aber er hat gern festen Boden unter den Füssen. Am besten den vom Weiler. Und so wird die Schiffsreisenmacherin beim nächsten Mal wieder ohne Sämi auf Reisen gehen, um irgendwo in Europa oder Übersee ein Schiff und dessen Route unter die Lupe zu nehmen. Sie hat den richtigen Job gefunden. Das Fernweh wird sie wohl nie los. Aber wenn sie von ihren Reisen zurückkommt, zu Sämi auf den Weiler, dann ist sie Zuhause und weiss: Diese Wegbiegung des Lebens war die beste. Zurück in den Reben Und das Winzerleben? Ihrem zweiten Lebenstraum, dem Weinbau, hat sie nicht abgeschworen. Im Gegenteil. 2012 hat Petra Fiechter einen Rebkurs absolviert und ihr Mittelthurgau-Pensum auf 80% gesenkt. Seitdem arbeitet sie regelmässig von März bis zur Herbstlese in einem Weinberg im Zürcher Oberland.

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