Es erübrigt sich das Aufbieten einer Ambulanz

Donau-Krimi von Thomas Bornhauser Kapitel 1

Entspannte Stimmung bei Stephan Moser (42) und Claudia Lüthi (43), beide privat und beruflich liiert, als Mitglieder des Dezernats Leib und Leben bei der Kantonspolizei Bern, wie die Kriminalpolizei in Bern bezeichnet wird.

Die beiden hatten den IC1 um 10:32 Uhr am Berner Hauptbahnhof bestiegen, um via Zürich zum Schluss nach Passau zu fahren, durch zwei Übernachtungen in der bayrischen Hauptstadt unterbrochen. Ziel ihrer Hinreise: Eine Donau-Flussfahrt mit der Excellence Fantasia nach Budapest und retour. Laut Programm mit an Bord: Ein Krimiautor, der an mehreren Abenden aus seinen Büchern lesen und Hintergrundgeschichten erzählen würde. Motto der beiden echten Kriminalisten: Mal sehen, was alles mit der Wirklichkeit übereinstimmen wird…

Der Zug hatte gerade Aarau passiert, als es zu einem ungewohnten Zwischenfall in ihrem Bahnwagen kam. Ein Mann, schätzungsweise 50 Jahre alt, kam ihnen und allen anderen Fahrgästen im Gang taumelnd entgegen, hielt sich am Hals, stöhnte einige unverständliche Worte und fiel danach zuerst einem Passagier auf die Knie, danach zu Boden, wo er regungslos liegen blieb. Als hätte es einen offiziellen Startschuss gegeben, standen alle Reisenden auf, um ja nichts zu verpassen.

«Lassen Sie uns bitte durch», sagte Stephan Moser mit Nachdruck, worauf sich eine kleine Gasse bildete, so dass er sich neben den Bewusstlosen niederknien konnte. Er drehte ihn zur Seite und sofort ging seine rechte Hand an den Hals des Mannes. Mit einem Blick von unten nach oben fragte er nach einem Arzt. Als sich niemand meldete, begann er zu schreien: «Dann sucht bitte einen in einem anderen Wagen! Gibt es irgendwo einen Defibrillator? Claudia, du bleibst hier.» Mit diesen Worten und einer Geste deutete er, dass Claudia Lüthi sich zum ihm niederbeugen sollte.

«Kein Puls mehr. Gibt es keinen Defi?», fragte Moser.

«Bis jetzt nicht. Soll ich suchen gehen?»

«Nein, bleib hier, ich beginne jetzt mit der Herzmassage», worauf er den Mann auf den Rücken drehte. Riechst Du etwas?»

«Ja, Stephan. Bittermandelgeruch. Blausäure, Cyanid?»

«Ja, denke ich auch. Was ist denn hier los?»

Augenblicke später traf ein Arzt ein, mit der Frage, was passiert sei. Noch bevor Stephan Moser antworten konnte, befahl der Ermittler alle Reisenden in einen anderen Wagen. Er stellte sich danach vor. Inzwischen war auch eine Zugbegleiterin eingetroffen, die einerseits einen Defi brachten und andererseits die Passagiere in andere Wagen begleitete, auf der Suche nach freien Plätzen, so dass einige Sitzende ihren Nebenplatz von Rucksäcken und Taschen räumen mussten, meistens von einem deutlich hörbaren Murren begleitet.

Was man wissen muss: Im Prinzip sind die Zugbegleiter verpflichtet, den Dienstweg einzuhalten und eine Ambulanz bei der Betriebszentrale in Olten zu ordern, notfalls mit dem Halt an einer Bahnstation, die nicht dem normalen Fahrplan entspricht.

«Herr Doktor, wohin sollen wir die Ambulanz bestellen?»

«Frau… Entschuldigen Sie, ich kann Ihr Namensschild nicht lesen.»

«Bütikofer, Elena Bütikofer.»

«Frau Bütikofer, die Ambulanz erübrigt sich, der Mann ist tot», was die Zugbegleiterin ihre Hände vor dem Gesicht zusammenschlagen liess, mit einem hörbaren «Jesses Gott!»

«Frau Bütikofer», meldete sich deshalb Stephan Moser, «lassen Sie den Zug in Zürich räumen, bieten Sie die Kantonspolizei Zürich auf.»

«Wie stellen Sie sich das vor?»

«Ganz einfach, so wie die SBB ganz normale Zugsausfälle auch meldet, wegen einer technischen Störung. Oder so.»

Elena Bütikofer blieb nichts anderes übrig, als die Betriebszentrale in Olten zu informieren. Als die Komposition eine halbe Stunde später am Hauptbahnhof Zürich geräumt war, wurde der Zug auf ein Abstellgeleise gefahren, damit der Kriminaltechnische Dienst KTD der Kantonspolizei Zürich seine Arbeit in Ruhe aufnehmen konnte. Gross war das Erstaunen zweier Spezialisten des KTD, als sie in einer Toilette einen gefesselten und bewusstlosen Mitarbeiter der Minibar vorfanden. Wieder bei Bewusstsein, berichtete er den Ermittlern von zwei Männern, «vermutlich Russen», die ihn überfallen und in den Raum gesperrt hätten.

Die Rechtsmedizinerin stellte ihrerseits wenig später fest, dass ein Becher mit Coca-Cola auf der Abstellfläche neben einem Sitzplatz mit Cyanid «angereicht» worden war, was Stephan Moser von einem «Zyan-Cola» sprechen liess. Der Tote wurde wenig später als Aleksandr Krutow aus Sankt Petersburg identifiziert, von Interpol wegen Wirtschaftskriminalität zur Fahndung ausgeschrieben. Unschwer zu erraten, dass die beiden Unbekannten in Zürich ebenfalls ausgestiegen waren, so dass alle Videoaufzeichnungen der aussteigenden Passagiere von Spezialisten hätten überprüft werden müssen; keine Arbeit, die sich in kurzer Zeit erledigen liess. Nur – aber das konnte niemand wissen: Die beiden Auftragsmörder, von einem russischen Oligarchen auf Krutow angesetzt, weil er von Krutow übers Ohr gehauen worden war, sassen bereits startklar auf ihren Flugplätzen in Richtung Wien, um von dort nach Moskau weiterzufliegen.

Und unsere beiden Berner? Sie erreichten München schliesslich mit zwei Stunden Verspätung. Es sollte übrigens nicht die einzige Überraschung während ihrer Reise bleiben.

 

«Ich dachte, Berner seien langsam...»

Donau-Krimi von Thomas Bornhauser Kapitel 2

Man erinnert sich: Stephan Moser und Claudia Lüthi von der Kantonspolizei Bern, beruflich und privat liiert, sind auf dem Weg zur Excellence Fantasianach Passau, von wo aus sie eine Donau-Flussfahrt nach Budapest und retour geniessen wollen. Zuvor sind zwei Nächte in einem zentral gelegenen Erstklasshotel in München gebucht, weil die beiden sich die Stadt in aller Ruhe ansehen möchten, Hofbräuhaus inklusive. Gehört schliesslich dazu. Einen Zwischenfall gab es bekanntlich im Intercity zwischen Bern und Zürich, weil ein Mann vergiftet wurde. Das führte dazu, dass Stephan Moser und Claudia Lüthi am späten Nachmittag erst mit Verspätung im Hotel eintrafen.

«Sodeli, da wären wir also. Endlich…», sagte Stephan Moser vor dem Hotel zu seiner Freundin.

«Ja, aber schau mal in die Eingangshalle, komisch, dieser Hühnerhaufen…»

In der Tat: Als sie die Drehtüre zur Lobby erreicht hatten, kamen ihnen schreiende Menschen in Richtung Ausgang entgegen. Kurz zuvor hatte man einen lauten Knall gehört. Die Lage war völlig unübersichtlich, der Knallkörper hatte einer Rauchpetarde gleich den Raum teilweise vernebelt, überall rannten Menschen herum, ziellos, laut durcheinander schreiend. «Im Aufzug liegt ein Toter!» rief ein Mann, «Dort drüben liegt eine Bombe!» eine Frau. Sicher war nur eines: Claudia Lüthi und Stephan Moser waren wieder mitten drin, in der Action. Ohne zu beratschlagen, was man tun oder nicht tun sollte, rannte Moser zur Rezeption, wo eine sichtlich geschockte und von der Situation völlig überforderte Frau ihn anstarrte.

«Was ist passiert?», fragte Moser, während seine Partnerin versuchte, sich im Tohuwabohu einen ersten Überblick zu verschaffen.

«Im Aufzug liegt ein Mann, man hat ihm in die Stirne geschossen.»

«In welchem Lift?» doppelt der Berner nach, ohne zu überlegen, dass Lift in Bayern nicht der korrekte Ausdruck für einen Aufzug war. Dennoch schien ihn die Frau zu verstehen.

«Dort, wo die Türe offen ist», bekam er zu hören, so dass er sich sofort zum Fundort begab, wo sich auch Claudia Lüthi zu ihm gestellte, um aber sofort zur Rezeptionistin zurückzukehren. Dort erfuhr sie in nicht zusammenhängenden Sätzen, dass es kurz nach der Entdeckung im Lift eine Detonation gab, die Claudia Lüthi ja miterlebt hatte.

«Ist die Polizei verständigt? Notruf 110.», wie die Bernerin wusste.

«Ja, kommt.»

Auch Stephan Moser hatte zur Rezeption zurückgefunden, mit dem Auftrag an die Angestellte, sofort alle Zugänge zum Hotel zu schliessen, Einstellhalle inbegriffen. Er wies sich- zusammen mit seiner Partnerin -sofort als Mitglied der Kantonspolizei Bern aus und drehte sich anschliessend in Richtung Lobby, um die noch wenigen Anwesenden lautstark zu informieren, dass die Polizei avisiert und unterwegs sei. Ob jemand sagen könne, was passiert sei.

Eine Minute später waren Sirenen zu hören, unmittelbar danach standen unzählige Polizisten im Eingangsbereich. Der Einsatzleiter begab sich auf direktem Weg zur Rezeption, um Auskunft zum Vorfall zu erhalten. Die Angestellte war jedoch nicht mehr ansprechbar, so dass sich Stephan Moser und Claudia Lüthi vorstellten und eine erste Übersicht gaben: Eine vermutete Rauchpetarde, um Verwirrung zu stiften, ein Toter im Lift, ihr Auftrag, alle Zugänge sofort zu sperren.

Harald Reuter zückte seinerseits seinen Ausweis, der ihn als Polizei-Hauptkommissar des Freistaats Bayern legitimierte. Er bedankte sich für die «hervorragende Arbeit», um eine witzige Feststellung anzuhängen, weil der Meinung, Berner seien langsam. Praktisch parallel zu diesen Worten forderte Reuter im Präsidium «das ganze Karussell» an. Gemeint waren unter anderem KTU, Rechtsmedizin, Spusi und Notfallarzt.

«Herr Reuter, können wir…»

«Wenn’s recht ist, Harald, das reicht, wir sind ja Kollegen. Ketzerische Frage Stephan: Haben Claudia und du Dienstwaffen dabei? Ich muss dich das fragen.»

«Kein Problem. Nein, wir sind unbewaffnet, sind auf einer Ferienreise.»

«Tut mir leid, dass dies euer erste Eindruck von München ist. Ich werde meinen Leuten jetzt ihre Einsätze befehligen und koordinieren. Ich fürchte, euer Check-In verzögert sich noch eine Weile. Geht doch inzwischen an die Bar im obersten Stockwerk, schöne Aussicht über die Stadt.»

«Danke, Harald, hast Du etwas dagegen, wenn Claudia und ich uns zuerst umschauen, vielleicht fällt uns etwas auf.»

«Zum Beispiel?» wurde Reuter neugierig.

«Zum Beispiel, weshalb die Frau an der Rezeption allein zu sein scheint, hier ist doch Hochbetrieb.»

«Gute Frage. Also denn, ihr Berner, ihr kriegt vollen Auslauf. Ach, noch etwas: Danke!»

Der Instinkt von Claudia Lüthi führte sie und Moser in die Eingeweide des Hotels, nämlich in den Untergrund, mit allen haustechnischen Installationen, so auch die Wäscherei, wo jedoch niemand mehr zu sehen war. Kein Wunder, um diese Tageszeit. Claudi Lüthi fiel auf, dass das Meiste der Wäsche auswärts in eine Grosswäscherei ging, stand doch ein Lastwagen abfahrbereit an der Rampe, mit allerdings noch offener Ladetüre, die der Fahrer gleich schliessen wollte.

«He! Sie! Warten Sie! Wir sind von der Polizei.»

«Weit sind wir hier in Bayern gekommen», bekam die Bernerin zu hören, «wenn wir bereits Schweizer beschäftigten… Was wollen Sie?», worauf Lüthi den Fahrer zu sich bat. Im Flüsterton erklärte sie, dass sich einem grossen Sack «hinten rechts» etwas bewege, er solle die Türe abschliessen. Ihr Partner würde in dieser Zeit Hauptkommissar Reuter informieren, um sich die Sache näher anzusehen.

Zwei Minuten später lag ein junger Mitarbeiter der Rezeption mit gefesselten Händen auf dem Boden. Die Ermittlungen sollten in der Folge ergeben, dass er im Aufzug seinen Drogendealer erschossen, anschliessend mit der Petarde Panik und Verwirrung gestiftet hatte, um sich unbemerkt abzusetzen.

Claudia Lüthi und Stephan Moser konnten schliesslich ihr Zimmer beziehen und abends das Hofbräuhaus besuchen, staunten aber nicht schlecht, als sie am nächsten Morgen im Münchner Merkur lasen, dass zwei zufällig anwesende Berner Kriminalbeamte gestern in einem Erstklasshotel die Münchener Einsatzkräfte «grossartig» unterstützt hätten. Auch ohne Namen und Foto wusste man darüber bei der Direktion der Kantonspolizei bereits Bescheid, weil von den Münchner Kollegen informiert…

 

«Die Tiefkühltruhe steht im Kriminalmuseum...»

Donau-Krimi von Thomas Bornhauser Kapitel 3

Nein, eine gewöhnliche Hinreise nach Passau zur Flussfahrt in Richtung Budapest war es für Claudia Lüthi und Stephan Moser von der Kantonspolizei Bern nicht. Ein Ermordeter im IC zwischen Bern und Zürich, dann Chaos in einem Erstklasshotel in München, wo die beiden Partner  - im Beruflichen und im Privaten -  die Bayrische Polizei unerwartet unterstützen konnten.

Nach turbulenten zwei Tagen erreichten Claudia Lüthi und Stephan Moser aus München kommend Passau um 14:32 Uhr. Das Reisebüro Mittelthurgau hatte ihren Transfer vom Hauptbahnhof Passau zur Excellence Baroness perfekt organisiert, ein Schiffsmitarbeiter stand mit dem Schild Moser/Lüthi auf dem Bahnsteig parat, um sie zu einem der 17 Anlegestellen im Hafen zu begleiten, wo insgesamt 29 Schiffe Platz hatten. Er nahm ihnen auch das Gepäck ab, beide Kofferetiketten mit der Kabinennummer 304 beschriftet, eine von vier Junior-Suiten mit französischem Balkon auf dem Oberdeck. Die Excellence Baroness bietet Platz für 150 Gäste, die das Nonplusultra erwarten können, mit Panorama-Lounge, grosszügigem Restaurant samt erlesenen Weinen, passend zu den Mahlzeiten. Auf dem Sonnendeck zusätzlich vorhanden: Whirlpool, Sitzgruppen, auch am Schatten.

«Frau Lüthi, Herr Moser, ich begrüsse Sie herzlich auf der Excellence Baroness», sagte die Rezeptionistin. Sie haben Nummer 304, eine ausgesprochen schöne Kabine, Frau Lüthi und Sie werden sich wohlfühlen. Um 18:30 Uhr gibt es bei der Panorama-Lounge einen Begrüssungscocktail. Bis dann! Und nach dem Nachtessen gibt es einen ersten Höhepunkt. Der Krimiautor T. Elias, der uns auf der Reise begleitet, wird erstmals lesen, nicht verpassen!»

«Das werden wir uns nicht entgehen lassen, bestimmt nicht. T. Elias ist ja Schweizer.»

«Genau. Aus Bern, wenn ich mich nicht irre.»

«Wie Frau Lüthi und ich.»

«Sie kennen den Autor?»

«Nein, aber wir sind sehr gespannt, was er zu erzählen haben wird», schmunzelte Moser vielsagend.

Den Nachmittag verbrachten die beiden Berner auf Entdeckungsreise an Bord. Nach dem Apéro und dem ersten Znacht versammelten sich viele Reisende auf dem Oberdeck, wo T. Elias bei der Bar und der Lounge einen ersten Auftritt hatte.

«Meine Damen und Herren, liebe Mitreisende. Ich bin überwältigt, vielen Dank für Ihr Interesse. Ich hoffe, Sie nicht zu enttäuschen. Heute Abend werde ich nicht lesen oder aus meinen Kriminalgeschichten erzählen, sondern einzig die meistgestellte Frage beantworten, damit Sie sie nicht stellen müssen: "Herr Elias, woher nehmen Sie die Fantasie für Ihre Krimis?"».

Der Berner erzählte davon, dass die Handlung jeweils frei erfunden ist, jedoch mit realen Gegebenheiten gespickt. Fakten, die stimmen müssen. Was das Medizinische oder das Juristische anbelangt, sei er auf Fachleute angewiesen, zum Beispiel aus der Rechtsmedizin in Bern, wo er immer anklopfen könne. Es folgte danach die grosse Überraschung.

«Einen grossen Teil meines Wissens habe ich von einem realen Mord, an dem ich indirekt beteiligt war», was zu ungläubigen Gesichtern führte, «wenn auch nicht im Dunstkreis der Täterschaft. Es geht um Benno Zürcher, den ich aus rechtlichen Gründen hier nur B.Z. nennen werde.»

1983 wurde in der Berner Vorortsgemeinde Kehrsatz eine junge Frau von ihrer eigenen Mutter tot in der eigenen Kühltruhe gefunden, einige Tage, nachdem sie von ihrem Mann als vermisst gemeldet worden war. Weil Tatverdächtig, wurde sofort nach dem Ehemann gefahndet. Noch am Tag der schrecklichen Entdeckung wurde er bei einer Gartenparty bei seiner Geliebten festgenommen und zwei Jahre später von einem Geschworenengericht in einem Indizienprozess schuldig gesprochen. Er erhielt eine lebenslange Zuchthausstrafe.

«Eine mutige Geschworene», so T. Elias, «machte einen bekannten Journalisten drauf aufmerksam, dass bei den Ermittlungen, in der Gerichtsmedizin und beim Prozess unsorgfältig gearbeitet, um nicht zu sagen, geschlampt wurde. Der Journalist nahm sich der Sache an und veröffentlichte jede Woche neue Enthüllungen zum Mord in Kehrsatz. Die Zeitung war damals landesweit jeweils innert Stunden vergriffen, so auch das gleichnamige Buch, das später auf dem Markt kam.»

Der Druck auf die Berner Justiz nahm Woche für Woche zu, die Öffentlichkeit forderte einen Revisionsprozess, für den die Justiz aber kein Gehör hatte. Nach einiger Zeit gründete sich der Verein Fairness im Fall Z., mit der aufmüpfigen Geschworenen, mit dem Journalisten, mit bekannten Persönlichkeiten aus und um Bern. Es ging ihnen nicht darum, die Unschuld von B.Z. zu beweisen, sondern nur um einen fairen zweiten Prozess.

«Vom Verein wurde ich angefragt, ob ich die Medienarbeit übernehmen würde. Nach Rücksprache mit meinem Boss  - ich war damals Kommunikationschef in einem grossen Schweizer Unternehmen  - ich nenne es beim Namen, bei der Migros – sagte ich zu. Was ich danach mit der Berner Justiz erlebt habe, geht auf gar keine Kuhhaut. Zweimal versuchte man mich via meinen Chef und durch den Verwaltungsratspräsidenten mundtot zu machen. Beide Herren liessen mich gewähren.»

Der Verein erreichte schliesslich sein Ziel: B.Z. erhielt einen Revisionsprozess, bei dem er wegen Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Nach diesem Urteil kam es im Staate Bern zu verschiedenen Änderungen in der Strafprozessordnung.

«Weshalb ich Ihnen das erzähle? Weil ich in jener Zeit sehr viel gelernt habe, zum Beispiel wie man in der Rechtsmedizin vorgehen muss, damit ein eingefrorener Körper so aufgetaut wird, dass keine Spuren vernichtet werden. Dieses Wissen fliesst in meinem Roman Die Schneefrau ein, wo eine durchgefrorene Frau in einem riesigen Schneemann auf dem Gelände eines russischen Oligarchen in Gstaad gefunden wird. Soweit zu meinen ersten Erklärungen. Wer mehr zu B.Z. wissen will, gibt bei Wikipedia den Suchbegriff Mord in Kehrsatz ein. Übrigens: Die Tiefkühltruhe steht noch heute im Kriminalmuseum Bern. Und jetzt beantworte ich gerne mögliche Fragen.»

Seine beiden letzten Gesprächspartner waren Claudia Lüthi und Stephan. Beide Kriminalisten zeigten sich beeindruckt über das Wissen des Buchautors, der erst kurz nach Mitternacht ins Bett kam, die Excellence Baroness auf dem Weg nach Melk und Wien.

 

«Das ist Gabor Horvath.»

Donau-Krimi von Thomas Bornhauser Kapitel 4

Claudia Lüthi und Stephan Moser von der Kantonspolizei Bern befinden sich nach einigen Aufregungen endlich auf der Excellence Fantasia. Seit 14:00 Uhr sind sie in Budapest, ihr Schiff konnte sozusagen im Zentrum anlegen, ganz in der Nähe der Grossen Markthalle, ein fantastischer Ausgangspunkt zur Erkundung der Stadt. Man erinnert sich: So ganz reibungslos verlief ihre Reise bisher nicht: Ein Toter im IC zwischen Bern und Zürich, ein Ermordeter im Lift eines Münchner Erstklasshotels. Nun ist jedoch Ruhe eingekehrt.

Das grossartige Parlamentsgebäude, die ebenso weltberühmte Kettenbrücke, die Fischer-Bastei, der Heldenplatz, der Burgpalast. Alle diese Sehenswürdigkeiten gab es  - nach dem Mittagessen an Bord -  auf einer Stadtrundfahrt in Budapest zu sehen. Der Name Budapest wird übrigens erstmals 1873 erwähnt, als die Städte Buda und Pest zusammengelegt wurden. Einziger Übergang damals: Die Kettenbrücke. Weil die Fantasia erst nach Mitternacht wieder in Richtung Bratislava ablegen würde, liessen die beiden Berner das Nachtessen an Bord sausen und marschierten auf eigene Faust durch die Stadt, besser gesagt zur Freiheitsstatue hinauf, von wo aus man einen prächtigen Bild auf die Stadt hat. Claudia Lüthi und Stephan Moser hatten das Eindunkeln genossen, als sie sich auf den Weg zur Kettenbrücke machten.

«Ha, Budapest…», schmunzelte Stephan Moser, «da hatten wir einen Kriminalfall, einige Monate bevor Du zum Team gestossen bist.»

«Worum ging es da?»

«Den eigentlichen Tatort wirst Du gleich sehen, unmittelbar bei der Kettenbrücke, das Hotel Intercontinental.»

Für seine Freundin rekapitulierte Moser die Ereignisse von 2017. Im grossen Stil wurde damals Rindfleisch aus Ungarn und Rumänien in die Schweiz geschmuggelt, um hierzulande als Swiss Prime Beef an Grossabnehmer und Gastronomiekanäle verkauft zu werden. Zwar wunderten sich die Abnehmer über den günstigen Preis, aber niemand mochte offenbar die Lieferkette hinterfragen. Als Transportmittel diente jeweils ein Car des bekannten Schweizer Reiseunternehmens HAMM aus Langenthal. HAMM stand für Holidays and much more. Der Bus fuhr immer mit einem Anhänger für das Gepäck der Gäste, der eigentliche Stauraum unter dem Passagierraum wurde umgebaut und für das Frischfleisch gekühlt. Während die Gäste im Interconti schliefen, fuhr der Chauffeur nach Erd, 20 Kilometer von Budapest entfernt. Dort wurde bei der Grossmetzgerei Neméth geladen. Die beiden Hauptbeschuldigten  - Joséph Dömötör und Gabor Horvath -  wurden jeweils zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Emil Stalder, der Inhaber von HAMM, und zwei seiner Chauffeure sassen noch immer in einer Schweizer Strafanstalt ein.

«Steff, wie ist man den Leuten auf die Schliche gekommen?»

«Einem Journalisten aus Bern  - mit HAMM für eine Publireportage unterwegs -  kam die Sache mit dem Anhänger komisch vor, weshalb er dem Car nach seiner Rückkehr in der Schweiz unauffällig gefolgt ist. Und der ist direkt zu einem Fleischgrosshändler. Der Medienschaffende hat aus der Ferne alles mit Fotos dokumentiert. War eine grosse Sache, damals.»

Wenige Minuten später erreichten sie die Kettenbrücke, die in der Nacht phänomenal beleuchtet wird. Ein atemberaubender Anblick, gleich neben dem Hotel Intercontinental. Claudia Lüthi und Stephan Moser standen auf der Brücke, schauten in die Donau, in der sich die Lichter der Stadt spiegelten.

«Nein, bitte nicht schon wieder!», unterbrach die Bernerin die Stille.

«Was ist los?»

«Steff, da unten bei der Böschung – da liegt einer auf dem Bauch im Wasser!»

Beide rannten sofort zum Ende der Brücke und stiegen wagemutig zum Fundort hinunter. Sie drehten den Mann um. Kein Zweifel: Tot, und das nicht erst seit gestern. Claudia lief sofort hinauf zur Strasse, wo zwei Polizisten gerade ihre Runden drehten.

«Bitte! Kommen! Mann tot!»

«Wo denn, schöne Frau?», fragte einer der beiden in perfektem Deutsch.

«Da unten, kommen Sie, mein Freund und ich sind auch von der Polizei, aus der Schweiz.»

Einer der Polizisten nahm sein Handy hervor und begann noch auf dem Weg zur Böschung zu sprechen. Unten angelangt wies sich Moser aus, erklärte, von wo aus man den Toten gesehen hatte, um dann mit einer unglaublichen Feststellung zu überraschen. Das sei ein gewisser Gabor Horvath, noch vor drei Jahren in Erd bei einer Fleischfabrik beschäftigt, zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.

Claudia Lüthi  - und wohl auch die beiden Beamten -  traute ihren Ohren nicht. Und dennoch: Seine ID wies den Toten tatsächlich als Gabor Horvath aus. Als nach einer halben Stunde auch der Staatsanwalt eintraf und sich orientieren liess, gab es für die beiden Schweizer ein unvorhergesehenes Intermezzo. Mit der Weiterfahrt auf der Fantasia ab Budapest wurde nichts, sie hatte ihre Aussagen auf dem Polizeipräsidium zu wiederholen und zu unterschreiben. Selbstverständlich gestattete man ihnen, den Kapitän zu informieren und ihm mitzuteilen, dass die Polizei sie am nächsten Morgen mit einem Helikopter nach Bratislava fliegen werde, um dort auf die Fantasia zusteigen zu können.

Auf dem Polizeipräsidium wurden nicht bloss ihre Aussagen protokolliert. Sie erfuhren einiges zu den Tatumständen. Nach Bekanntwerden des Skandals 2017 wurde die Grossmetzgerei Neméth kurzerhand geschlossen, 120 Mitarbeitende verloren ihre Stelle. Weil er hieb- und stichfest beweisen konnte, dass er mit der ganze Sache nichts zu tun hatte  - und auch nichts davon wusste -, entging der Inhaber einer Zuchthausstrafe, im Gegensatz zu seinen Mitarbeitern Dömötör und Horvath. Neméth wartete nur darauf, dass die beiden wieder auf freiem Fuss waren, um sich an ihnen zu rächen. Dömötör wurde vor fünf Tagen tot auf einem alten Fabrikgelände in Erd gefunden. Die Spuren führten direkt zu Neméth, der sofort in U-Haft genommen wurde. Dort gestand er nicht nur das Tötungsdelikt an Dömötör, sondern auch an Gabor Horvath, dessen Leiche jedoch unentdeckt blieb.

 Während ihrer Abwesenheit auf der Fantasia hatte derweil Krimiautor T. Elias die Gäste mit einer Lesung aus diversen seiner Bücher glänzend unterhalten. Für den nächsten Abend stellte er humoristische Erlebnisse in Zusammenhang mit seinen Recherchen in Aussicht.

 

«Der Fiesta mit Berner Kennzeichen neben Ferrari & Co.»

Donau-Krimi von Thomas Bornhauser Kapitel 5

Claudia Lüthi und Stephan Moser von der Kantonspolizei hatten sich die Flussfahrt zwischen Passau und Budapest retour anders vorgestellt. Ganz anders. Tötungsdelikte in Zug nach Zürich, in einem Münchner Erstklasshotel und in Budapest… Jetzt aber würde alles anders werden, auf der Fahrt von Bratislava nach Melk, denn der mitgereiste Krimiautor T. Elias hatte den Gästen gestern nach einer Lesung versprochen, heute einige Intermezzi bei seinen Recherchen zu erzählen.

Einer seiner Krimis handelt von Nazi-Kunstraub. Dabei spielt vor allem das Salzbergwerk Altausee im Salzkammergut eine wichtige Rolle, weil Hitler dort Raubkunst zwischenlagern liess, die er später im Führermuseum Linz ausstellen wollte. Weil er immer die Originalschauplätze besucht, reist T. Elias auch nach Altausee, im Winter, weil der Roman um jene Jahreszeit spielt. Er sei ein schlechter Autofahrer, erklärte er dem Publikum. Der Krimiautor also auf einer schmalen Strasse zwischen Schneewänden links und rechts zum Salzbergwerk hinauf, immer in Begleitung einer möglichen Panikattacke, ein Autocar könnte ihm entgegenkommen. «Retourfahren ist für mich ein Horror», sagte er den Anwesenden. Nichts von alledem, T. Elias kommt ohne Zwischenfall oben an. Beim Betrachten des Schildes am Haupteingang weiss er auch weshalb: «Im Winter geschlossen» steht geschrieben. Gute Frage: Wozu kann man sich vorher im Internet schlau machen?

In einem anderen Buch haucht eine bekannte Schweizerin, Véronique von Greifenbach, auf Mauritius ihr Leben aus - beim Sex mit ihrem nachgereisten Lover. Klar, dass sie aber in der Schweiz bestattet wird. Um genau zu sein, in Muri-Gümligen, wo sie gewohnt hat. Nun hat die Gemeinde drei Friedhöfe: Aebnit, Seidenberg und den Friedhof bei der Kirche. Wo aber findet eine auch sozial engagierte Frau ihre letzte Ruhestätte? Anruf an die Gemeindeverwaltung Muri-Gümligen. «Das kann ich Ihnen nicht sagen», kommt als Antwort. «Und wer könnte das?» - «Moment, ich frage nach.» Nach mehr als vier Minuten meldet sich die Frau wieder. «Sind Sie noch da? Herr Rufener, der Friedhofsverwalter, könnte das wissen.» - «Danke, haben Sie mir seine Nummer?» - «Nein, aber Herr Rufener steht im Telefonbuch.» Toll. Danach also der Anruf an Herrn Rufener, der in Wahrheit natürlich nicht so heisst. «Wie bekannt war die Frau denn?» - «Sehr bekannt. Und sozial engagiert.» Nach fünf Minuten der Erklärungen seitens Buchautor einigt man sich: Bei der Kirche.

Ein Kriminalroman erzählt vom internationalen Kunsthandel, bei welchem sich das Zollfreilager in Genf in der Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Nun gibt es in Genf zwei Zollfreilager, beide aber mit der gleichen Telefonnummer. Der Krimiautor ruft an, fragt nach, welches das Wichtigere von beiden sei. «Weshalb wollen Sie das wissen?» Elias erklärt sich. «Ich kann Ihnen das nicht sagen», heisst es, fast wie in Muri-Gümligen. «Wer kann mir das sagen?» antwortet Elias en français. «Un instant.» Nach ungefähr fünf Minuten: «Vous êtes encore là?» - «Jaja, ich bin noch là.» - «Man wird Sie zurückrufen.» Der Ansage gegenüber misstrauisch, beginnt der Autor selber zu recherchieren und wird bei der NZZ fündig. Zwei Stunden später tatsächlich ein Telefonanruf. «Haben nicht Sie heute…?» - «Ja, habe ich.» Zur Erinnerung: T. Elias will nur eine Adresse erfahren. Und jetzt gut aufpassen: «Un instant, je vous passe Monsieur le directeur général». Hoppla, muss ja eine ganz brisante Frage sein, der GD persönlich. Und der fragt, weshalb, na, Sie wissen schon… Palaver, Palaver. «Das kann ich Ihnen nicht am Telefon sagen, Sie müssen nach Genf kommen.» - «Sie glauben doch nicht, dass ich extra von Bern aus nach Genf fahre, nur um zu hören, dass sich an der Rue de Praille das grössere der beiden Zollfreilager befindet? Oder darf ich dann auch fotografieren, im Zollfreilager?» Geht natürlich nicht. «Aha, Sie haben das selber rausgefunden?» Elias bestätigt. Darüber zeigt sich Monsieur de directeur général, wie er sagt, «örö».

Zwei Beamte der Kantonspolizei Bern müssen für eine Befragung nach Zermatt. Mutter aller Fragen: Dürfen Sie mit dem Auto bis nach Zermatt fahren oder müssen Sie in Täsch parkieren und die Matterhorn-Gotthard-Bahn nehmen? Anruf von T. Elias an den Polizeiposten in Zermatt. «Das kann ich Ihnen nicht sagen. Da müssen Sie nach Sion anrufen, aufs Kommando. Dort sprechen Sie aber Französisch.» - «Soso, sprechen sie. Wollen wir unser Gespräch gleich en français weiterführen?» Nicht nötig. In Sion dann die Auskunft, dass sie in Sitten das doch nicht wüssten, der Autor solle bei der Polizei in Zermatt nachfragen. Mon Dieu, les Valaisans…

Elias fotografiert im Februar aus 100 Meter Distanz das KKW Mühleberg, das in einem Roman eine Rolle spielt. Keine zwei Minuten vergehen, da kommen zwei Sicherheitsbeamte der BKW daher. Was er hier mache, wollen sie wissen. Gerade als er «Ich fotografiere vorbeifliegende Schwäne, haben Sie sie nicht gesehen?» sagen will, verklemmt er sich den vorwitzigen Spruch, sagt, worum es geht. Er muss das Foto zeigen, um sicherzustellen, dass keine sicherheitsrelevanten Sachen darauf zu sehen sind. Das scheint nicht der Fall, das Foto wird bewilligt. «Wissen Sie, wir machen bloss unsere Arbeit», sagt einer der BKW-Leute - «Klar doch, aber nicht immer gut.» Die beiden Beamten geben sich leicht säuerlich. «Wieso das?» - «Wissen Sie, ich war vorgestern schon hier, habe fünf Minuten lang fotografiert, kein Mensch hat das gemerkt.» - Und weshalb sind Sie heute wieder hier?» - «Weil über Nacht Schnee gefallen ist. Sieht besser aus…»

Anapolon ist ein sehr starkes Steroid, das im Bereich des Doping Verwendung findet. Allein schon beim Lesen der Nebenwirkungen ist man halbtot. T. Elias im Selbstversuch in die Apotheke des Einkaufszentrum Westside in Bern. Er gibt der Mitarbeiterin einen Zettel. Darauf steht Anapolon 50mg. Er möchte gerne so ein Schachteli. Die freundliche Frau findet das Medi im PC nicht gelistet, auch bei den Generika nicht. «Haben Sie das schon einmal in der Schweiz gekauft?» - «Nein, ich habe es überhaupt noch nie gekauft.» - «Und für oder gegen was ist es?» - «Ich gehe einmal die Woche ins Fitness, ein Kollege meinte, Anapolon sei gut für den Muskelaufbau», worauf die Frau den Kopf schüttelt und backstage verschwindet. Nach einigen Minuten kommt sie retour, mit versteinerter Miene. «Das ist in der Schweiz streng verboten, damit können Sie sich umbringen.» - «Isch das wahr?» Er erzählt ihr, dass er für einen Roman recherchiere. Keine Ahnung, ob die Frau ihm das glaubt. Ein paar Tage später in Bukarest könnte er Anapolon im erstbesten Fitnesscenter ohne Weiteres kaufen. «Wollen Sie die 20er- oder 50er-Packung?».

Ein Kollege von Elias, in der Formel-1 eine grosse Nummer, ermöglicht ihm 2019 den Besuch in Hockenheim, weil die automobile Königsklasse in einem Roman eine Rolle spielt. Unser Autor übernachtet im gleichen Hotel wie die Mercedes-Leute, sitzt beim Zmorge in der Nähe von Hamilton, Bottas, Toto Wolf & Co. Am Morgen des ersten offiziellen Trainingstages hat er die Boxengasse praktisch für sich allein, spaziert zwischen den Mercedes, Ferrari, Red Bull, Haas und Alfa Romeo umher. Parken kann er dank Sonderbewilligung und entsprechendem Kleber auf der Frontscheibe in der Nähe der Boxengasse. Was für ein Anblick, die Wagen, die dort neben einander stehen: Ferrari, Maybach, Maserati, Lamborghini, ein Ford Fiesta mit BE-Kennzeichen, McLaren, Ferrari undsoweiterundsofort.

 

«Geheimnisvolles tut sich im Stift Melk»

Donau-Krimi von Thomas Bornhauser Kapitel 6

Es war wie immer: Kaum hatten die Ferien begonnen, neigten sie sich bereits ihrem Ende zu. Das galt auch für die Gäste auf der Excellence Fantasia, die eine wirklich schöne Reise hinter sich hatten, sieht man von einigen Zwischenfällen für Claudia Lüthi und Stephan Moser von der Kantonspolizei Bern ab. Heute stand ein weiterer Höhepunkt im Reiseprogramm an, nämlich der Besuch der Benedikterabtei Stift Melk.

Der heutige Bau wurde zwischen 1702 und 1746 von Jakob Prandtauer errichtet. Als Wahrzeichen der Wachau gehört es zum UNESCO-Welterbe. Bekannt wurde der Ort auch durch die Verfilmung des ersten Romans von Umberto Eco, 1986, Der Name der Rose, mit Sean Connery in der Hauptrolle. Das Buch handelt von einer mysteriösen Mordserie, die 1327 eine norditalienische Benediktinerabtei erschüttert. Der Franziskanermönch William von Baskerville und sein junger Schüler Adson, zu Besuch im Kloster, versuchen zu ermitteln, wer hinter den Verbrechen steckt. Sie kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur, das sie in die labyrinthische Bibliothek des Klosters führt. Dort versucht ein religiös verbohrter Mönch, ein vermeintlich ketzerisches Buch mit allen Mitteln vor allzu wissbegierigen Augen zu verbergen - am Ende sind Gift und Feuer seine stärksten Waffen.

«Die Geschichte von Umberto Eco hört sich wie ein Krimi an», schmunzelte Claudia Lüthi, nachdem sie die Zusammenfassung in einem Faltprospekt gelesen hatte.

«Ja, das ist so. Fünf tote Mönche, die an das Buch heranzukommen versuchten. Und als es William von Baskerville schliesslich findet, sieht der psychisch schwer beeinträchtigte Besitzer keine andere Möglichkeit, als die Bibliothek in Brand zu setzen. Das Feuer vernichtet zum Schluss das gesamte Kloster.»

«Steff, das ist wirklich passiert, denn 1089 besiedelten Mönche den Hügel und begannen, ein Kloster mit Kirche zu errichten, 1297 vernichtete ein Brand alles. Sag mal, ob wir die Möglichkeit haben, im Kloster auch Keller aus der Urzeit zu sehen, die bestimmt fast 1'000 Jahre alt sind? Die haben sicher etwas Mystisches…»

«Und dort liegt dann irgendwo ein Skelett, nicht wahr? Nein, danke. An Toten ist mein Bedarf für den Moment gerade knapp gedeckt.»

Mit dieser Feststellung schien das Vorhaben der Kriminalistin gescheitert. Mit Betonung auf schien. Wie auch immer: Der Anlegeplatz der Excellence Fantasia lag praktisch direkt unterhalb der Benedikterabtei, die Reisenden konnten also gut zu Fuss zum Eingang marschieren. Weil die Fantasia-Gruppe relativ früh unterwegs war, gab es beim Eingang noch keine lange Kolonne von Wartenden. Und Claudia Lüthi wäre nicht Claudia Lüthi, hätte sie bei einer gelangweilt herumstehenden Aufsichtsperson nicht ihren Wunsch geäussert, die Katakomben besichtigen zu dürfen. Stephan Moser, vor dem Ticketschalter stehend, hatte nicht bemerkt, dass sich seine Partnerin vom ihm entfernt hatte. Als er sie  - die beiden Zutrittskarten in der Hand -  bemerkt, sieht er gerade noch, wie sie sich beim Aufseher mit einem Lächeln bedankt. Dieser zückt sein Handy.

«Ehhh… Was ist mit dem Mann?»

«Ich habe ihn gefragt, ob wir beide nach der ordentlichen Besichtigung noch Keller besichtigen könnten.»

«Clauuudia… Folterkeller und so? Geits no? Was hat er gesagt?»

«Er erkundigt sich beim Direktor, ob das möglich ist. Wir sollen hier warten.»

Moser wunderte sich nur noch und stellte keine Fragen, wie sie das möglicherweise geschafft hatte. Einige Augenblicke später kam der Wärter auf sie zu. Im Sinne der «Ausnahme» sei diese möglich, aber nur in seiner Begleitung, worauf sich Claudia Lüthi zu einem freudigen «Sie sind ein Schatz!» hinreissen liess, zur allgemeinen Verwunderung von Stephan Moser. Weil noch wenig Leute unterwegs, schlug der ungefähr 40-Jährige vor, dass die beiden Berner zuerst den ordentlichen Rundgang geniessen, um ihn dann «um 10:30 Uhr am gleichen Ort zu treffen.» Gesagt, getan.

«Gab es im Verlauf der Geschichte des Klosters auch noch ungeklärte Verbrechen?», wollte die Kriminalistin wissen, als sie zu dritt eine unheimlich anmutende Treppe in die Unterwelt stiegen.

«…die Sie als Kriminalbeamtin gerne lösen möchten?», lachte der Österreicher, ohne eine Antwort zu erhalten. Für Stephan Moser wurde klar, mit welcher Raffinesse seine Freundin vorhin vorgegangen war.

«Hier unten spielt ein Teil des Films, eine reine Kulisse in Zusammenhang mit dem Labyrinth der Bibliothek. Und um Ihre Frage von vorhin zu beantworten: Ja, es gibt mehrere merkwürdige Todesfälle, die noch ihrer Aufklärung warten», bekamen die beiden beeindruckten Besucher zu hören.

Das Ambiente innerhalb dieser Gemäuer wäre auf die Länge nur schwer zu ertragen. Von aussen dringen weder Geräusche noch Sonnenschein herein. Zwar gab es elektrisches Licht, die beiden Berner erhielten aber  - wenn schon, dann schon -  eine wirkliche Inszenierung vorgeführt, indem der Aufseher einige Fackeln anzündete und das Licht löschte. Gruselig war das einzig passende Wort.

«Jetzt erleben Sie die Wirklichkeit der Vergangenheit.» Mit seiner sonoren Stimme und dem jetzt fast unheimlichen, starren Gesichtsausdruck verstärkte der Mann den Augenblick. Stephan Moser erhielt die Erlaubnis, einige Fotos zu machen, während Claudia Lüthi die Gemäuer betrachtete, als suche sie etwas Bestimmtes. Auf einmal begann sie mit ihrem Sackmesser zwischen zwei Steinen zu kratzen.

«Hallo, gute Frau! Was machen Sie da? Hören Sie bitte sofort damit auf!»

«Kommen Sie, hier gibt es einen längeren Spalt und mir scheint, dass sich dahinter ein Hohlraum befindet. Haben Sie eine Taschenlampe?» Der Mann hatte. «Hier, nehmen Sie auch die Klinge und fahren sie in den Spalt, plötzlich lässt der Widerstand nach…»

Moser wunderte sich nur noch. Und mit ihm auch der Aufseher, der ebenfalls das Gefühl hatte, dass… Wie auch immer: Die Zeit drängte, nicht für den Österreicher, sondern für die beiden Schweizer, die zurück aufs Schiff mussten, ein zweites Mal wollten sie es nicht verpassen. Und man durfte gespannt sein, was es mit diesem möglichen Hohlraum auf sich hatte. Claudia Lüthi und Stephan Moser erhielten das Versprechen, es sofort zu erfahren, wenn man mehr wüsste.

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